DIE ACHTE TRADITIONDie Tätigkeit in AA sollte immer ehrenamtlich bleiben, jedoch dürfen unsere zentralen Dienststellen Angestellte beschäftigen. Die Achte Tradition ist das praktische Fundament zu unserem Dritten Vermächtnis: Dienst. Sie gibt uns klare Richtlinien für unseren Hauptauftrag, die Botschaft weiterzutragen. Nach der Empfehlung des Zwölften Schrittes versuchen wir, die Botschaft an andere Alkoholiker weiterzugeben. Die Fünfte Tradition hat uns diesen Auftrag als Hauptzweck einer jeden AA-Gruppe vor Augen gestellt. Wir sollen dem noch leidenden Alkoholiker die Erfahrungen unseres Leidensweges mitteilen und den Ausweg aufzeigen, den uns das AA-Programm geöffnet hat. Der noch leidende Alkoholiker kann daraus die Hoffnung schöpfen, daß es auch für ihn eine Lösung seines Trinkproblems gibt. Das Programm der Anonymen Alkoholiker aber ist gottlob nicht nur geeignet, das Alkoholproblem zu lösen. Das Programm ist eine durch reiche Erfahrung gewachsene Haltung, auf der ein zufriedenes und glückliches Leben aufgebaut werden kann. In AA haben wir erkannt, daß wir zu dieser nüchternen, zufriedenen Lebensführung kommen können. Sehr schnell kam die Erkenntnis hinzu, daß wir dieses Leben nur behalten, wenn wir es weitergeben. Als wir am Ende und ohne Hoffnung waren, erfuhren wir durch andere von AA. Sie bewiesen durch ihre Haltung und ihr Leben, daß es eine Lösung gibt. Sie teilten uns ihre Erfahrungen mit, und wir brauchten dafür keinen Pfennig zu bezahlen. Umsonst habt ihr empfangen -umsonst sollt ihr geben. Dieser Grundsatz der Achten Tradition sollte unser Handeln bestimmen, wenn wir im Sinne des Zwölften Schrittes die Botschaft an Alkoholiker weitergeben. Die Zwölf Traditionen der Anonymen Alkoholiker sind gewachsene Grundsätze, nach denen das Leben in den Gruppen und AA als Ganzem erhalten und weitergeführt werden kann. In der Achten Tradition ist unmissverständlich verankert, daß wir niemals hauptberuflich oder gegen Entgelt die Botschaft im Sinne des Zwölften Schrittes weitergeben können. Wir würden mit Sicherheit unser neu gewonnenes, nüchternes Leben aufs Spiel setzen, wenn wir dies täten. Schon in der Anfangszeit unserer Gemeinschaft hat sich herausgestellt, daß es einiger Einrichtungen und an manchen Stellen regelrechter Arbeit bedarf, um die Botschaft weiterzutragen. Weil kein Alkoholiker auf die Dauer allein bleiben kann, braucht er die Gruppe, die ihn trägt. Er braucht immer wieder den Erfahrungsaustausch im Meeting. Deshalb muß es Meetingräume geben. Zur Koordination der Gruppenarbeit, zum Auffangen, Beantworten und Weiterleiten von Hilferufen haben sich Kontaktstellen und Büros als notwendig erwiesen. Dort fallt innerhalb unserer Gemeinschaft Arbeit an. Wenn diese Arbeit gut, zuverlässig und damit für den leidenden Alkoholiker, dem unsere Hauptsorge gilt, hilfreich sein soll, muß sie kontinuierlich und kontrollierbar verrichtet werden. Und weil in dem vorausgegangenen Satz bewußt das bei AA unübliche Wort "muß" verwendet ist, weil bei solcher Arbeit Kontrolle gefordert ist, hat dies nichts mehr mit der Freiwilligkeit des Dienens im Sinne des Zwölften Schrittes zu tun. Es ist also klar zu unterscheiden zwischen Dienst im Sinne von Arbeit, Job, Beruf auf der einen Seite und zwischen dem Dienen im Sinne des Zwölften Schrittes, was der einzelne AA-Freund oder die Gruppe tun, aber auch lassen kann. Wenn wir von "Diensten" in AA sprechen, meinen wir damit Arbeit, die oft erst die Voraussetzungen für das Freiwillige Dienen schafft. Und jede Arbeit ist ihres Lohnes wert. In der vorausgegangenen Betrachtung über die Tradition 7 haben wir deutlich erfahren, warum AA sich nichts schenken läßt. Die Achte Tradition greift diesen Gedanken auf und führt ihn weiter: AA läßt sich selbst von AA-Freunden für Dinge, die getan werden müssen, nichts schenken. Die Gemeinschaft als Ganzes möchte sich ihre unabhängige Souveränität nicht beschneiden lassen durch Einzelne, die für offiziell übertragene Arbeitsverpflichtungen nicht entsprechend entlohnt würden. Das meint die Achte Tradition, wenn es dort heißt: Unsere Dienststellen können Angestellte beschäftigen. Hier Beispiele für Arbeit, die getan werden muß: Herstellung und Vertrieb von AA-Literatur einschließlich der Monatszeitschrift, die Besetzung von Kontaktstellen zur Annahme und Bearbeitung von Hilferufen, das weite Feld der Geschäftsführung bis hin zur Außenvertretung von AA auch gegenüber Behörden (einschließlich der Finanzämter). Die genannten Beispiele sind zu erbringende Leistungen, für die sich eine auf Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit bedachte Gemeinschaft nicht auf Freiwilligkeit stützen kann. Das kann AA so wenig wie beispielsweise das Rote Kreuz. Deshalb setzt die Achte Tradition klare Maßstäbe für die Entlohnung der in AA und für AA tätigen Mitarbeiter. Sie sollen nach den Richtlinien der freien Wirtschaft bezahlt werden, damit kein AA-Freund sagen kann: "Ich habe dies und jenes für AA getan, ich war soundsoviele Stunden und Tage tätig, und man hat mir nichts dafür gegeben." In der AA-Gemeinschaft gilt das Grundprinzip der Gleichheit. Jeder kann nach einer gewissen Zeit der Zugehörigkeit von der Gruppe in ein Komitee delegiert werden oder von einem Ausschuß mit der Bearbeitung eines Sachgebietes betraut werden. Jedem sollten die dadurch entstehenden Kosten ersetzt werden, damit jeder eine solche Aufgabe wahrnehmen kann. In den überregionalen Komitees sollten nicht nur ,,Reiche" im Sinne der Basisgruppe die Geschicke unserer Gemeinschaft lenken. Immer wieder wird darüber diskutiert, ob ein AA-Freund "Geld aus AA schlagen dürfe" oder ob es nicht besser sei, die notwendigen Dienstleistungen durch nichtalkoholische Angestellte ausführen zu lassen. Dazu ist erst einmal zu sagen, daß die meisten Arbeitsbereiche von Nichtalkoholikern gar nicht wahrzunehmen sind. Der Mann oder die Frau in der Kontaktstelle, die Hilferufe mündlich oder schriftlich beantworten, müssen Alkoholiker sein, die sich in die Not des Hilferufenden versetzen können. Das Schreiben oder Übersetzen von AA-Literatur kann im Regelfall nur von jemandem bewältigt werden, der sein Leben im Geist unseres Programms führt. Dasselbe gilt für die Redaktion unserer Monatszeitschrift. In einer größeren Stadt, in der AA eine Art Zentrum unterhält, wo immer wieder Tag für Tag Meetings stattfinden, wird auf die Dauer die Anstellung einer teilzeitbeschäftigten, aber bezahlten Kraft notwendig sein. Dieser "Hausmeister" oder wie immer man ihn nennen mag, sollte zweckmäßigerweise ein AA-Freund sein, schon damit er auch beim geschlossenen Meeting Kaffee kochen kann. Die AA-Gruppen in dieser als Beispiel angeführten Stadt hatten natürlich zunächst genug Idealisten, die sich zur Übernahme all der Putz-und Getränkedienste bereitfanden. Bis dann eines Tages mal nicht geputzt, das Geschirr nicht gespült war, bis beim Meeting die Getränke fehlten, niemand die Gardinen waschen wollte und so weiter. Auch hier ergab es sich, daß Arbeiten angefallen waren, die getan werden mußten. Von dem schließlich auf Teilzeitregelung entlohnten AA-Freund konnte man dies dann auch verlangen. Im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Achten Tradition steht auch die Tätigkeit von AA-Freunden auf dem weiten Feld der Suchtfürsorge. Ganz eindeutig ist hier zu sagen, daß diese Freunde selbstverständlich nicht im Widerspruch stehen zum Programm (12. Schritt) und zur Achten Tradition, soweit sie die Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker nicht zum persönlichen Nutzen oder Vorankommen in ihrem Beruf mißbrauchen. Eine ganze Reihe von Anonymen Alkoholikern ist auf diesem Berufsfeld tätig. Sozialarbeiter, Therapeut, Fachberater oder ähnlich sind die Berufsbezeichnungen. Keiner von ihnen ist jedoch als Anonymer Alkoholiker angestellt, jeder arbeitet als Fachkraft mit einem speziellen Wissen. Dass dieses Wissen durch einige leidvolle Erfahrung und durch die Begegnung mit den Anonymen Alkoholikern zustande gekommen ist, macht seinen Wert nicht geringer. Diese "Hauptberuflichen" arbeiten nicht im Auftrag der Anonymen Alkoholiker und werden auch nicht von der AA-Gemeinschaft bezahlt. Sie können in gewissenhafter Ausübung ihrer Dienstpflichten der AA-Gemeinschaft nicht schaden, im Gegenteil: Der hauptberufliche Suchtberater wird dem Hilfesuchenden auf Selbsthilfe-Gemeinschaften hinweisen und damit auch die Anonymen Alkoholiker nennen. Der Hilfesuchende wundert sich dann höchstens, wenn er dem Rat folgt und ins AA-Meeting geht und dort unter den AA auch den Suchtberater sitzen sieht. Es wäre höchst unsozial und das Bemühen von AA geradezu auf den Kopf gestellt, wollte man einem Freund verwehren, eine auch in der AA-Gemeinschaft gewonnene neue Lebenseinstellung beruflich zu nutzen. Außerdem kann in AA ohnehin niemand so etwas verbieten. Und auch der "Hauptberufliche" bleibt als Anonymer Alkoholiker außerhalb seines Berufes in der Verantwortung des Dienstes im Sinne des Zwölften Schrittes. "Ich bin verantwortlich, wenn irgendjemand irgendwo die Hand nach AA ausstreckt...", das gilt für uns alle, gleich ob jemand innerhalb von AA eine bezahlte Funktion innehat oder ob er seine Brötchen in einem anderen Beruf verdient. Die Achte Tradition läßt keine Grenzfälle und Zweifel offen; sie definiert unser alle Auftrag zu ehrenamtlichem Dienen und grenzt ab, wo Dienstleistung gegen Entgelt zu beginnen hat. AA sollte bei der Vergabe solcher Angestellten-Positionen immer erst die Bewerber aus den eigenen Reihen nach ihrer Qualifikation prüfen, bevor man sich für einen Nicht-AA entscheidet. Die Tatsache, daß ein Bewerber zu unserer Gemeinschaft gehört, darf ihm doch wohl innerhalb unserer Gemeinschaft am wenigsten zum Nachteil gereichen. Nach dem Grundtenor der Zwölf Traditionen nämlich funktioniert die AA-Gemeinschaft in erster Linie durch eigenen Einsatz, gleich ob dies im Dienen oder im Dienst geschieht. Die Achte Tradition regelt, wieweit dies in freiwilligem Dienst möglich und wo bezahlter Dienst nötig ist.Unser Weg
|