Nettikette
oder der Umgang miteinander im Online-Meeting

1.) Unser Umgang miteinander sollte verständnisvoll sein.

2.) Im realen Meeting, f2f, habe ich die Chance, während meines Redens
mitzubekommen, wie andere darauf reagieren. Ich spiegele mich in ihren
Gesichtern und habe die Möglichkeit mich selber zu überprüfen.*

3.) Im realen Meeting kann ich auch, wenn ich mal hart und deutlich an die
Adresse einer bestimmten Person spreche, dieser trotzdem mit meinen Gesten,
mit meiner Mimik, oder einfach indem ich sie umarme, zu verstehen geben,
dass ich zwar inhaltlich an einem bestimmten Punkt nicht mit ihr
übereinstimme, ich sie aber als Mensch nicht ablehne. Ich kann zeigen, dass
ich diesen Menschen trotz aller vermeintlichen Macken und Fehler, oder
gerade deshalb, verstehe.*

4.) Im realen Meeting merkt die Gruppe am Gesicht, der Körperhaltung, oder
der Art zu reden, wenn es jemandem schlecht geht, wenn dieser aufgrund
eines Beitrages im Meeting "einknickt" und kann diesen Freund wieder auffangen.*

*Im Online Meeting entfallen diese Wahrnehmungen und damit auch diese
Hilfestellungen.

5.) Im Online Meeting habe ich zunächst keine persönliche Bindung, oder
Kontakt zu den einzelnen Freunden. Meist kenne ich niemanden persönlich,
kenne weder ihre Gesichter, noch weiß ich wie sie aussehen, habe sie noch
nie umarmt, weiß nicht wie sie riechen.

6.) Im Online Meeting muss ich nicht warten, nicht auf den Wochentag, nicht
auf eine bestimmte Zeit zu der das Meeting stattfindet. Wenn mich was im
Meeting stört, muss ich nicht warten bis die vier Leute die noch vor mir
auf der Rednerliste stehen fertig sind. Ich kann sofort losschießen. Meine
Beobachtung ist, dass es gerade die "Schnell-Schuss-Mails" sind, die zu
bösem Blut und Missstimmung führen können. Meistens habe ich mir selber
nicht die Zeit genommen habe, mich zu betrachten, “Was macht mich so an?“,
mich selber korrigiert, bevor ich loslege.

7.) Im Online Meeting funktioniert leider auch kein Rundgespräch, bei dem
wenigstens jeder einmal hallo sagen muss. Deshalb ist es stillen Freunden
möglich immer still zu bleiben. Ich erfahre nie etwas über sie und ich
erfahre durch sie nie etwas über mich, da ich mich in ihnen nicht spiegeln
kann. Ein Thema im Meeting ist manchmal schlecht zu behandeln, weil ich
meinen Nachbarn nicht sehe, weil ich ihm nicht die Hand auf die Schulter
legen kann, oder ihm die Hand streicheln.

8.) Im Online Meeting ist es möglich dass sich jemand einschreibt und sich
danach nicht wieder zu Wort meldet. Deshalb empfehlen wir, wenigstens
einmal im Monat eine Wortmeldung ins Meeting zu schicken, damit ein ganz
kleines bisschen, ein Gedankensplitter, die Person erkennbar werden lässt.
Es entspricht einfach der Höflichkeit, sich auch in einem Online Meeting
mal zu melden. Im realen Meeting sage ich doch auch am Tisch meinen Namen
zur Begrüßung.

9.) In meinen Beiträgen gilt grundsätzlich: "Ich spreche von mir selber."
Wenn Du auf Mails aus dem Meeting antwortest, kann es manchmal hilfreich
für die anderen sein, die Bezugsmail zu zitieren. Falls dies nötig
erscheint, zitiere bitte nur das für das Verständnis Nötigste. Schließlich
stellt ja im realen A.A.-Meeting auch niemand ein Tonbandgerät auf, um den
Beitrag seines Vorredners noch mal komplett allen Anwesenden vor zuspielen
und dann anschließend seine Meinung hinzuzufügen.

10.) Wir machen keine Reklame für andere Meetings, auch Zitate aus anderen
Meetings sind ohne Genehmigung des Zitierten aus Anonymitätsgründen nicht
erwünscht.

ZUSAMMENFASSUNG
In einem Online-Meeting ist ein sorgfältigerer Anspruch an den 
verständnisvollen Umgang miteinander zu stellen als im realen Meeting. Dies
bedeutet Verantwortung FÜR JEDEN EINZELNEN, die er annehmen sollte. Nicht
nur das, WIR sind die Gruppe. WIR bestimmen die Anzahl und den Inhalt der
Beiträge. Das heißt nicht, dass hier nur wohl formulierte Beiträge
zugelassen werden, dass hier nicht auch mal Klartext gesprochen wird, dass
ich hier nicht mal auf die Kacke hauen darf, aber ich darf mich auch nicht
einfach in meiner DOPPELTEN ANONYMITÄT , als A.A. und als nicht sicht- und
fühlbarer Schreiber, zurück lehnen und meinen, ich könne hier tun und
lassen was ich will, die Gruppe muss es ja schlucken.

Noch ein Tip: Falls jemand doch auf einen Beitrag antwortet und dabei im
Bauch irgendwas verspürt, bitte Vorsicht einschalten. Notfalls die Mail
abspeichern, einmal um den Häuserblock laufen, ein Bad nehmen, eine Nacht
drüber schlafen, oder sich auf eine andere Weise einen Moment aus dem
Geschehen heraus nehmen, dann wiederkommen, den Beitrag nochmals durchlesen
und, falls man immer noch der Meinung ist, dass er genau so bleiben muss,
dann erst absenden.
(werner i. 1998, rev. Dez. 2008, Jan. 2020)