15. Juni - Wettstreit zwischen »Märtyrern«:
»Ja, ich weiß, Ihr Mann ist Alkoholiker; aber ich habe einen Sohn, der
Alkoholiker ist, und das ist etwas anderes. Das ist viel schlimmer!«
Mein Schmerz ist größer als deiner!
In diese Falle tappen wir oft. Wir sind versessen darauf, anderen zu zeigen,
welch ein Opferlamm wir sind, wie sehr wir leiden, wie gemein das Leben ist und
was für ein großartiger Märtyrer wir sind.
Erst dann sind wir glücklich!
Wir müssen unseren Schmerz und unser Leid keinem anderen beweisen. Wir wissen,
dass wir Schmerzen gehabt haben. Wir wissen, dass wir gelitten haben. Die
meisten von uns wurden zu Recht zu Opferlämmern gemacht. Viele von uns mussten
schwierige, schmerzhafte Lektionen lernen.
Unser Ziel besteht nicht darin, anderen zu zeigen, wie sehr wir verletzt werden
und wurden. Das Ziel besteht darin, unserem Schmerz Einhalt zu gebieten, und
dieses Ergebnis anderen mitzuteilen.
Wenn jemand uns beweisen will, wie sehr er oder sie leidet, können wir einfach
sagen: «Ich habe den Eindruck, dass du verletzt wurdest.« Vielleicht sucht die
Person lediglich eine Anerkennung seiner oder ihrer Schmerzen.
Wenn wir versuchen, einem anderen zu beweisen, wie sehr wir verletzt wurden,
oder wenn wir versuchen, die Schmerzen anderer zu übertrumpfen, sollten wir
herausfinden, was die Gründe dafür sind. Brauchen wir eine Bestätigung, wie sehr
wir verletzt sind oder wurden?
Für Leiden gibt es keine Belohnung und keine Belobigung, wie sich viele Menschen
auf dem Höhepunkt der Co-Abhängigkeit einzureden wussten. Die Belohnung besteht
im Lernprozess, unserem Schmerz ein Ende zu machen und zu Freude, Frieden und
Erfüllung zu gelangen.
Das ist das Geschenk des Heilungsprozesses, und es ist jedem von uns
gleichermaßen zugänglich, ob unser Schmerz nun größer oder kleiner ist als der
eines anderen.
Hilf mir, Gott, dankbar zu sein für all meine Lektionen, auch für jene, die
mir großen Schmerz und großes Leid zugefügt haben. Hilf mir zu lernen, was ich
lernen muss, damit ich dem Schmerz in meinem Leben Einhalt gebieten kann. Hilf
mir, dass ich mich auf das Ziel meines Heilungsprozesses konzentriere statt auf
den Schmerz, der mich bewogen hat, ihn anzutreten.