ZEHNTER SCHRITT

Setzten laufend unsere persönliche Inventur fort, und wenn wir im Irrtum waren, gaben wir es prompt zu.

Der Zehnte Schritt ist einer der Schritte, die der Erhaltung der Nüchternheit dienen. Sein Ziel besteht darin, uns daran zu erinnern, daß unsere moralischen Verfehlungen - Selbstsucht, Unehrlichkeit, Groll und Angst - immer noch zu den Problemen gehören, die uns täglich begegnen werden. Diese Fehler bleiben eine ernste Bedrohung für unsere Nüchternheit. AA empfiehlt eine tägliche, persönliche Inventur, um schädliche Gedanken und Taten ans Licht zu bringen. Das Eingeständnis von Fehlern ist für unsere Inventur und unsere Nüchternheit unentbehrlich.

Über die Unbeständigkeit steuert G.A. Dorsey eine interessante, kleine Aussage bei, indem er sagt: "Der Mensch ist etwas, das die ganze Zeit geschieht; er ist ständig auf Achse, schafft Regeln, überprüft seine Rezepte und entwirft seine Form im Vorgang des Seins auf seiner Reise immer wieder neu. Es gehört zur Natur des Menschen, daß er niemals so bleibt, wie er ist."

Dieser Schritt schreibt eine tägliche Eigeninventur vor, um unsere psychische und spirituelle Verfassung zu überprüfen. Durch ihn vermeiden wir unglückliche Erfahrungen, die dabei herauskommen, wenn wir von Formen der Selbstsucht beherrscht werden, die sich wieder in unser Leben einschleichen.

Wir machen die Inventur zu einer Art Nachrichtendienst, der alte und neue moralische Verfehlungen identifiziert. Er besitzt eine Verbrecherkartei, in die jeder Fehler und sein Deckname eingetragen werden. Wenn sich also zum Beispiel die Ichsucht als Selbstgefälligkeit oder Langeweile maskiert, entlarven wir diese Täuschung, halten sie auf und behandeln sie. Diese Fehler sind eine große Gefahrenquelle für uns. Sie hängen stark mit den Verletzungen zusammen, unter denen wir einst beim zwanghaften Trinken litten. Sie können uns immer noch in den Wahnsinn des Alkoholismus zurückwerfen.

Der Vierte Schritt schrieb uns eine Inventur vor, die einem bestimmten Zweck diente. Sie deckte unsere Charakterfehler auf, deren Eingeständnis wir vorher verweigerten – Fehler, die unser Leben unkontrollierbar machten. Mit jedem Tag, den wir dem Protokoll unserer Nüchternheit zufügen, wird uns zunehmend deutlicher, wie notwendig es war, diese Persönlichkeitsfehler aufzulisten und zu beseitigen.

Die einmalige Inventur des Vierten Schritts schenkte uns Einsicht in unser Problem. Sie konfrontierte uns mit uns selbst, mit unseren Unzulänglichkeiten - mit dem Sinn, sie durch Gottes Hilfe verschwinden zu lassen. Sie war zu diesem Zeitpunkt unumgänglich, doch ihr beabsichtigter Zweck ist erfüllt, sobald wir über die Natur unserer eigensinnigen alkoholsüchtigen Angewohnheiten und Verfehlungen Bericht erstattet haben (5. Schritt). Ohne diese Aufzeichnungen wäre jeder Fortschritt bei AA unmöglich gewesen.

Aufgrund dieser Aufzeichnungen haben wir Fortschritte gemacht. Die Kenntnis unserer moralischen Verfehlungen und die Anwendung des AA-Programms haben unser Leben vollständig verändert. Unsere Haltung gegenüber Gott, den Problemen des Alltags und unsere Gefühle gegenüber unseren Mitmenschen haben sich verbessert. Wir haben Vertrauen und die Achtung anderer Menschen gewonnen. Viele unserer Freunde haben ihre Bewunderung für die Nüchternheit, die wir erreicht haben, zum Ausdruck gebracht. Dieser Erfüllung folgen natürlich Frieden und Zufriedenheit. Wir genießen unsere Sicherheit und das freundliche Verhalten der Menschen in unserem Umfeld.

Der Zehnte Schritt schützt diese Entwicklung, wenn wir laufend unsere persönliche Inventur fortsetzten und unverzüglich zugeben, wenn wir im Irrtum waren.

Wir dürfen nicht vergessen, daß Alkoholiker anscheinend niemals so bleiben, wie sie sind. Unsere Gründer kannten das aus ihren Erfahrungen. Sie wußten, daß die lange gehegten Trinkgewohnheiten nach Wiederholung schreien würden.

Sie wußten, daß neue Charakterfehler auftreten und viele alte Fehler in verdeckten Formen wieder zum Vorschein kommen werden. Deshalb brauchen wir tägliche Überprüfungen unseres Denkens und Tuns (Psycho-Hygiene), die das Auftreten von alten Gewohnheiten anzeigen und als Wachdienst zur Aufdeckung von neuen Verfehlungen dienen.

Vermeide es, die unterschiedlichen Aufgaben des Vierten und Zehnten Schrittes durcheinanderzubringen.

Der Vierte Schritt war eine schriftliche Inventur, in der unsere Charakterfehler und die Menschen, die wir verletzt hatten, aufgelistet wurden. Wir ließen darin Raum für zusätzliche Eintragungen in der Zukunft.

Der Zehnte Schritt ist der AA-Taschenrechner zur schnellen "Berechnung" des täglichen Fortschritts in AA - eine lebenslängliche geistige Inventur, welche die wachen Stunden unserer Nüchternheit absichert und die Würdigung, mit der jeder Tag abgeschlossen wird.

Die AA Philosophie sieht vor, daß die Mitglieder jeden einzelnen Schritt im Leben anwenden, und zwar (zunächst) hübsch der Reihe nach. Wenn einer davon überflüssig wäre, hätte man ihn nicht aufzuschreiben brauchen. Das Ziel des Zehnten  Schrittes besteht nun darin, mittels persönlicher Bestandsaufnahme fortgesetzt und täglich den Fortschritt zu überprüfen, den wir mit jedem der Schritte im AA-Programm machen.

Bei erneuter Durchsicht merken wir oft, daß wir auf dem Holzweg sind. Das ist ein schlechtes Pflaster für Alkoholiker, die ausnahmslos leicht auf Abwege geraten und in dann in Gefahr sind, "den Bach runter zu gehen", wenn nicht sofort Schritte zur Korrektur unternommen werden.

Eine Berichtigung ist nur dann möglich, wenn wir die Gefahr bemerken, sobald sie sich in unseren Inventuren offenbart. Bei derartigen Entdeckungen ist unverzügliches Handeln notwendig. Es ist nicht ungewöhnlich, daß wir ein bißchen neben die Spur geraten; es geht einzig und allein darum, daß wir sofort wieder auf den rechten Weg zurücksteuern – etwa wie ein Fahrer auf der Autobahn, wenn er merkt, daß er den Leitplanken zu nahe kommt. Dafür ist die tägliche Inventur eine wesentliche Voraussetzung.

In den folgenden Tendenzen können Mitglieder entdecken, daß sie sich auf dem Holzweg befinden:

1)      Wenn wir vergessen haben, daß wir Alkoholiker sind - wir haben ein Nervensystem, das unfähig ist, der betäubenden Wirkung des Alkohols zu widerstehen.

2)      Wenn Selbstgefälligkeit unsere Wachsamkeit mindert und zuläßt, daß sich Groll und Intoleranz wieder in unser Leben einschleichen.

3)      Wenn wir in der Ausübung von Ehrlichkeit, Demut und Wiedergutmachung leichtfertig werden.

4)      Wenn uns unser AA-Erfolg übermütig werden läßt und wir den Kontakt zu Gott schleifen lassen oder gar beenden.

5)      Wenn uns das Interesse an neuen Mitgliedern fehlt und wir es als unbequem empfinden, ihnen zu helfen.

6)      Wenn wir nach Autorität streben oder Lob für unsere Nüchternheit erwarten.

7)      Wenn Langeweile auftritt. Müßiggang ist aller Laster Anfang.

8)      Wenn wir anfangen, AA-Meetings zu versäumen. Wer nicht regelmäßig ins Meeting geht, geht bald auch nicht mehr unregelmäßig.

9)      Wenn wir aufhören. das Big Book zu studieren.

Wenn unsere Inventur irgendeines dieser Symptome aufdeckt, laufen wir Gefahr, wieder zu trinken. Die Egozentrik ist unser stärkstes Problem. Wenn es uns "beschissen" geht, werden weitere, genauere Nachforschungen einen ernsten Fall von "spiritueller Verstopfung" aufdecken.

Das Gegenmittel ist ein schneller Rückblick auf unseren Alkoholismus. Für viele von uns war folgendes eine wirksame Medizin:

·         für ein erneuertes Interesse beten;

·         das Big Book lesen;

·         mit anderen Mitgliedern über AA sprechen;

·         uns aufrichtig für unsere AA-Gruppe interessieren;

·         häufiger an Meetings teilnehmen;

·         unsere Pflicht tun;

·         uns vor Augen führen, daß unser Alkoholismus aufgehalten, aber niemals völlig ausgeheilt

·         uns ganz im Programm verlieren;

·         mit neuen Mitgliedern im Programm arbeiten;

·         einen Blick zurück auf das Wunder werfen, das Gott in unserem Leben vollbracht hat;

·         ehrlich und dankbar sein und Gott ein Dankgebet darbringen;

·          das AA-Buch (Taschenausgabe des Big Book) mitnehmen, wenn wir länger unterwegs sind.

Der zweite Teil des Zehnten Schrittes lautet, " .... und wenn wir im Irrtum waren, gaben wir es unverzüglich zu", und das sollten wir nicht zu leicht nehmen. Das ist eine gute charakterliche Voraussetzung. Das Erkennen eines Irrtums ist nicht genug; ein Eingeständnis mit Worten sollte folgen. Unser Programm erfordert es außerdem, Wiedergutmachung zu leisten, wenn durch den Irrtum jemand geschädigt wurde. Die Inventur erhält unsere Wachsamkeit hinsichtlich unserer Verantwortung in dieser Angelegenheit.

Aufrichtige Mitglieder wenden diese Dinge für sich selbst an. Sie finden heraus, wie bedeutsam es ist, zuzugeben, wenn sie im Irrtum sind.

Erinnern wir uns an den Fünften Schritt, in dem wir gegenüber Gott, uns selbst und einem anderen Menschen die genaue Natur unserer Fehler zugaben. Im Sechsten und Siebten Schritt meditierten wir über die Befreiung von unseren. Unzulänglichkeiten. Damals war das für unser Wohlbefinden lebenswichtig.

Und es ist immer noch lebenswichtig. In dieser Hinsicht haben wir uns nicht geändert, und das wird auch nie geschehen. Der Alkoholismus wurde zum Stillstand gebracht, er wurde nicht vollständig ausgeheilt, so daß wir wieder trinken könnten.

Es gehört nicht zur Natur des Alkoholikers, so zu bleiben, wie er ist. Wir müssen unsere Fehler zugeben, um Anstands- und Selbstwertgefühle zu empfinden, die uns in der richtigen psychischen und spirituellen Verfassung erhalten, damit wir eine zufriedene, dauerhafte Nüchternheit pflegen können. Führe diese Inventur täglich weiter. Wir lernen und wissen es mit der Zeit immer mehr zu schätzen, daß wir uns diese Dinge sofort von der Seele reden zu können, wenn wir im Irrtum sind. Geben wir unsere Fehler zu! Es ist dumm, unsere Schnitzer zu verteidigen. Wir können und wollen diese Angewohnheit loswerden.  Erinnern wir uns daran: Moralische Verfehlungen oder verheimlichte Fehler sind mit unserer neuen Persönlichkeit unvereinbar.

Der Zehnte Schritt macht uns selbstkritisch und weniger geneigt, an andere Kritik zu üben. Er zeigt uns den richtigen Weg. Wenn wir unsere Inventuren anwenden, wird unser Leben nicht zur Farce. Wir sollten uns selbst gründlich überprüfen, um wirklich mit voller Fahrt voranzukommen. Das schulden wir Gott, uns selbst und unseren Familien. Wir müssen nüchtern denken, um nüchtern zu leben.

Die Inventur wird uns helfen, den Grad des Erfolges zu bestimmen, den wir in AA erlangen. Sie wird uns wissen lassen, wo wir stehen. Sie wird unser Wohlbefinden erhalten.

ZUSAMMENFASSUNG: Nichts ist wichtiger für den genesenden Alkoholiker als zufriedene Nüchternheit zu erreichen und aufrechtzuerhalten.

Der Zehnte Schritt bietet die entsprechende Hege und Pflege. Es ist wie mit der Betriebssicherheit und Werterhaltung beim Auto. Wenn wir vorbeugend regelmäßig, Reifen, Bremsen, Tankfüllung, Motor, Batterie, Lenkung usw. prüfen und sich ankündigende Mängel sofort beheben lassen, werden wir nicht wegen solcher Mängel auf der Strecke bleiben. Der Zehnte Schritt ist ein einfaches, wirksames Mittel, die gefährlichen Untiefen der geistigen Trunkenheit nach Vorbehalten, Gedanken, Launen oderTaten auszuloten, die uns in körperliche Trunkenheit zurückwerfen könnten. Egoismus und Ichbezogenheit bleiben eine unheilvolle Bedrohung. Man erzählt sich, daß Hengststuten jedes Mal schwarze Schimmel zur Welt bringen, wenn Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Genauso häufig tritt gesunder Egoismus bei Alkoholikern auf.

Wir schützen unsere tägliche Nüchternheit durch regelmäßige geistige Überprüfung unseres Verhaltens und unserer Bereitwilligkeit, Fehler zuzugeben. Wir machen die persönliche Inventur zur täglichen Gewohnheit. Sie wird häufig negative Gedanken und eigensinniges Verhalten aufdecken, deren notwendige Berichtigung uns unser Gewissen gebietet. Wenn wir den Tag mit einem Rückblick darauf beschließen, wie wir uns emotional aufgeführt und andere Menschen behandelt haben, können wir sowohl Eigenwilligkeit als auch Fehler entdecken und beides berichtigen.

Tägliche Eingeständnisse unserer Fehler bringen uns sowohl psychischen als auch spirituellen Nutzen. Sie vervollständigen unsere persönliche Inventur. Sie beleben unser Gewissen und führen uns die Erkenntnis vor Augen, daß wir Gottes Hilfe zur "himmlischen Veredelung" unseres Willens und bei der immerwährenden Anwendung des Zehnten Schrittes brauchen.

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