»Am Tage mit den dreiundvierzigmal
warst du also besonders traurig?« Aber
der
kleine Prinz antwortete
nicht.
Ich wußte nicht, was ich
noch sagen sollte. Ich kam mir sehr
ungeschickt vor. Ich wußte nicht, wie ich
zu
ihm gelangen, wo ich ihn erreichen konnte.
Es ist so geheimnisvoll, das Land der
Tränen.
So hatte sie ihn sehr bald schon mit ihrer
etwas scheuen Eitelkeit gequält. Eines
Tages zum Beispiel, als sie von ihren vier
Dornen sprach, hatte sie zum kleinen
Prinzen gesagt:
»Sie sollen nur kommen, die Tiger, mit
ihren Krallen!«
»Es gibt keine Tiger auf meinem
Planeten«, hatte der kleine Prinz
eingewendet, »und die Tiger fressen auch
kein Gras.«
»Ich bin kein Gras«, hatte die
Blume
sanft geantwortet.
»Verzeihen Sie mir...«
»Ich fürchte mich nicht vor den
Tigern,
aber mir graut vor der Zugluft. Hätten
Sie
keinen Wandschirm?«
Grauen vor Zugluft?... Das sind
schlechte Aussichten für eine Pflanze,
hatte
der kleine Prinz festgestellt. Diese Blume
ist recht schwierig...
»Am Abend werden Sie mich unter
einen Glassturz stellen. Es ist sehr kalt bei
Ihnen. Das ist schlecht eingerichtet. Da,
wo ich herkomme...«
Aber sie hatte sich unterbrochen. Sie
war in Form eines Samenkorns gekommen.
Sie hatte nichts von den anderen Welten
wissen können. Beschämt, sich bei
einer
so einfältigen Lüge ertappen zu
lassen,
hatte sie zwei- oder dreimal gehustet, um
den kleinen Prinzen ins Unrecht zu setzen:
»Der Wandschirm...?«
Dann hatte sie sich neuerlich zu ihrem
Husten gezwungen, um ihm trotzdem
Gewissensbisse aufzunötigen.
So hatte der kleine Prinz trotz des guten
Willens seiner Liebe rasch an ihr zu
zweifeln begonnen, ihre belanglosen
Worte bitter ernst genommen und war sehr
unglücklich geworden.
»Ich hätte nicht auf die hören
sollen«,
gestand er mir eines Tages. »Man darf
den
Blumen nicht zuhören, man muß sie
anschauen und einatmen. Die meine
erfüllte den Planeten mit Duft, aber ich
konnte seiner nicht froh werden. Diese
Geschichte mit den Krallen, die mich so
gereizt hat, hätte mich rühren
sollen.«
Er vertraute mir noch an:
»Ich habe das damals nicht verstehen
können! Ich hätte sie nach ihrem Tun
und
nicht nach ihren Worten beurteilen sollen.
Sie duftete und glühte für mich. Ich
hätte
niemals fliehen sollen! Ich hätte hinter
all
den armseligen Schlichen Ihre
Zärtlichkeit
erraten sollen. Die Blumen sind so
widerspruchsvoll! Aber ich war zu jung,
um sie lieben zu können.«
Am Morgen seiner Abreise brachte er seinen
Planeten schön in Ordnung. Sorgfältig fegte
er
seine tätigen Vulkane. Er besaß zwei
tätige
Vulkane, das war sehr praktisch zum
Frühstückkochen. Er besaß auch
einen
erloschenen Vulkan. Da er sich aber sagte:
Man kann nie wissen! fegte er auch den
erloschenen Vulkan. Wenn sie gut gefegt
werden, brennen die Vulkane sanft und
regelmäßig, ohne Ausbrüche.
Die
Ausbrüche der Vulkane sind nichts weiter
als Kaminbrände.
Es ist klar: Wir auf
unserer Erde sind viel zu klein, um unsere
Vulkane zu kehren. Deshalb machen sie uns
so viel Verdruß.
Der kleine Prinz riß auch ein
bißchen
schwermütig die letzten Triebe des
Affenbrotbaumes aus. Er glaubte nicht,
daß
er jemals zurückkehren müsse. Aber
alle
diese vertrauten Arbeiten erschienen ihm
an diesem Morgen ungemein süß. Und,
als
er die Blume zum letztenmal begoß und
sich anschickte, sie unter den Schutz der
Glasglocke zu stellen, entdeckte er in sich
das Bedürfnis zu weinen.
»Adieu«, sagte er zur Blume.
Aber sie antwortete ihm nicht.
»Adieu«, wiederholte er.
Die Blume hustete. Aber das kam nicht
von der Erkältung.
»Ich bin dumm gewesen«, sagte sie
endlich zu ihm. »Ich bitte dich um
Verzeihung. Versuche, glücklich zu
sein.«
Es überraschte ihn, daß die
Vorwürfe
ausblieben. Er stand ganz fassungslos da,
mit der Glasglocke in der Hand. Er
verstand diese stille Sanftmut nicht.
»Aber ja, ich liebe dich«, sagte
die
Blume. »Du hast nichts davon gewußt.
Das
ist meine Schuld. Es ist ganz unwichtig.
Aber du warst ebenso dumm wie ich.
Versuche, glücklich zu sein... Laß
diese
Glasglocke liegen! Ich will sie nicht
mehr...«
»Aber der Wind...«
»Ich bin nicht so stark erkältet, daß...
Die
frische Nachtluft wird mir gut tun. Ich bin
eine Blume.«
»Aber die Tiere...«
»Ich muß wohl zwei oder drei
Raupen
aushalten, wenn ich die Schmetterlinge
kennenlernen will. Auch das scheint sehr
schön zu sein. Wer wird mich sonst
besuchen? Du wirst ja weit weg sein. Was
aber die großen Tiere angeht, so fürchte
ich
mich nicht. Ich habe meine Krallen.«
Und sie zeigt treuherzig ihre vier
Dornen. Dann fügte sie noch hinzu:
»Zieh es nicht so in die Länge, das
ist
ärgerlich. Du hast dich entschlossen zu
reisen. So geh!«
Denn sie wollte nicht, daß er sie weinen
sähe. Es war eine so stolze Blume.
»Herr«, sagte er zu ihm... »ich
bitte,
verzeiht mir, daß ich Euch
frage...«
»Ich befehle dir, mich zu fragen«,
beeilte
sich der König zu sagen.
»Herr... worüber herrscht
Ihr?«
»Über alles«, antwortete der König
mit
großer Einfachheit.
»Über alles?«
Der König wies mit einer bedeutsamen
Gebärde auf seinen Planeten, auf die
anderen Planeten und auf die Sterne.
»Über all das?« sagte der kleine
Prinz.
»Über all das...«, antwortete der
König.
Denn er war nicht nur ein absoluter
Monarch, sondern ein universeller.
»Und die Sterne gehorchen Euch?«
»Gewiß«, sagte der König.
»sie
gehorchen aufs Wort. Ich dulde keinen
Ungehorsam.«
Solche Macht verwunderte den kleinen
Prinzen sehr. Wenn er sie selbst gehabt
hätte, wäre es ihm möglich gewesen,
nicht
dreiundvierzig, sondern zweiundsiebzig
oder sogar hundert oder selbst zweihundert
Sonnenuntergängen an ein und demselben
Tage beizuwohnen, ohne daß er seinen
Sessel hätte rücken müssen. Und da er
sich
in der Erinnerung an seinen kleinen
verlassenen Planeten ein bißchen traurig
fühlte, faßte er sich ein Herz und bat
den
König um eine Gnade:
»Ich möchte einen Sonnenuntergang
sehen... Machen Sie mir die Freude...
Befehlen Sie der Sonne unterzugehen...«
»Wenn ich einem General geböte,
nach
der Art der Schmetterlinge von einer Blume
zu andern zu fliegen oder eine Tragödie
zu
schreiben oder sich in einen Seevogel zu
verwandeln, und wenn dieser General den
erhaltenen Befehl nicht ausführte, wer
wäre
im Unrecht, er oder ich?«
»Sie wären es«, sagte der kleine
Prinz
überzeugt.
»Richtig. Man muß von jedem
fordern,
was er leisten kann«, antwortete der
König.
»Die Autorität beruht vor allem auf
der
Vernunft. Wenn du deinem Volke befiehlst,
zu marschieren und sich ins Meer zu
stürzen, wird es revoltieren. Ich habe
das
Recht, Gehorsam zu fordern, weil meine
Befehl vernünftig sind.«
»Was ist also mit meinem
Sonnenuntergang?« erinnerte der kleine
Prinz, der niemals eine Frage vergaß,
wenn
er sie einmal gestellt hatte.
»Deinen Sonnenuntergang wirst du
haben. Ich werde ihn befehlen. Aber in
meiner Herrscherweisheit werde ich
warten, bis die Bedingungen dafür
günstig
sind.«
»Wann wird das sein?« erkundigte
sich
der kleine Prinz.
»Hm, hm!« antwortete der König,
der
zunächst einen großen Kalender
studierte,
»hm, hm! Das wird sein gegen... gegen...
das
wird heute abend gegen sieben Uhr vierzig
sein! Und du wirst sehen, wie man mir
gehorcht.«
Der kleine Prinz gähnte. Es tat ihm leid
um den versäumten Sonnenuntergang. Er
langweilte sich schon ein bißchen.
»Ich habe hier nichts mehr zu tun«,
sagte
er zum König. »Ich werde wieder
abreisen!«
»Reise nicht ab«, antwortete der
König,
der so stolz war, einen Untertanen zu
haben, »ich mache dich zum
Minister!«
»Zu was für einem Minister?«
»Zum... zum Justizminister!«
»Aber es ist niemand da, über den
man
richten könnte!«
»Das weiß man nicht«, sagte der
König.
»Ich habe die Runde um mein
Königreich
noch nicht gemacht. Ich bin sehr alt, ich
habe keine Platz für einen Wagen und das
Gehen macht mich müde.«
»Oh! Aber ich habe schon gesehen«,
sagte der kleine Prinz, der sich bückte,
um
einen Blick auf die andere Seite des
Planeten zu werfen, »es ist auch dort
drüben niemand...«
»Du wirst also über dich selbst
richten«,
antwortete ihm der König. »Das ist
das
Schwerste. Es ist viel schwerer, sich selbst
zu verurteilen, als über andere zu
richten.
Wenn es dir gelingt, über dich selbst gut
zu
Gericht zu sitzen, dann bist du ein
wirklicher Weiser.«
»Ich«, sagte der kleine Prinz, »ich
kann
über mich richten, wo immer ich bin. Dazu
brauche ich nicht hier zu wohnen.«
»Hm, hm!« sagte der König, »ich
glaube,
daß es auf meinem Planeten irgendwo eine
alte Ratte gibt. Ich höre sie in der
Nacht.
Du könntest Richter über diese alte
Ratte
sein. Du wirst sie von Zeit zu Zeit zum
Tode verurteilen. So wird ihr Leben von
deiner Rechtsprechung abhängen. Aber du
wirst sie jedesmal begnadigen, um sie
aufzusparen. Es gibt nur eine.«
»Ich liebe es nicht, zum Tode zu
verurteilen«, antwortete der kleine
Prinz,
»und ich glaube wohl, daß ich jetzt
gehe.«
»Nein«, sagte der König.
Aber der kleine Prinz, der seine
Vorbereitungen bereits getroffen hatte,
wollte dem alten Monarchen nicht wehtun:
»Wenn Eure Majestät Wert auf
pünktlichen Gehorsam legen, könnten
Sie
mir einen vernünftigen Befehl erteilen.
Sie
könnten mir zum Beispiel befehlen,
innerhalb eine Minute zu verschwinden. Es
scheint mir, daß die Umstände
günstig
sind...«
Da der König nichts erwiderte,
zögerte
der kleine Prinz zuerst, dann brach er mit
einem Seufzer auf.
»Ich mache dich zu meinem
Gesandten«,
beeilte sich der König, ihm nachzurufen.
Er gab sich den Anschein großer
Autorität.
Die großen Leute sind sehr sonderbar,
sagte sich der kleine Prinz auf seiner
Reise.
XI
Der zweite Planet war von einem
Eitlen
bewohnt.
»Ah, ah, schau, schau, ein Bewunderer
kommt zu Besuch!« rief der Eitle von
weitem, sobald er des kleinen Prinzen
ansichtig wurde.
Denn für die Eitlen sind die anderen
Leute Bewunderer.
»Guten Tag«, sagte der kleine Prinz.
»Sie haben einen spaßigen Hut
auf.«
»Der ist zum Grüßen«, antwortete
ihm
der Eitle. »Er ist zum Grüßen, wenn
man
mir zujauchzt. Unglücklicherweise kommt
hier niemand vorbei.«
»Ach ja?« sagte der kleine Prinz,
der
nichts davon begriff.
»Schlag deine Hände
zusammen«,
empfahl ihm der Eitle.
Der kleine Prinz schlug seine Hände
gegeneinander. Der Eitle grüßte
bescheiden, indem er seinen Hut lüftete.
Das ist unterhaltender als der Besuch
beim König, sagte sich der kleine Prinz.
Und er begann von neuem die Hände
zusammenzuschlagen. Der Eitle wieder fuhr
fort, seinen Hut grüßend zu
lüften.
Nach fünf Minuten wurde der kleine
Prinz der Eintönigkeit dieses Spieles
überdrüssig:
»Und was muß man tun«, fragte
er,
»damit der Hut herunterfällt?«
Aber der Eitle hörte ihn nicht. Die Eitlen
hören immer nur die Lobreden.
»Bewunderst du mich wirklich sehr?«
fragte er den kleinen Prinzen.
»Was heißt bewundern?«
»Bewundern heißt erkennen, daß ich
der
schönste, der bestangezogene, der reichste
und der intelligenteste Mensch des Planeten
bin.«
»Aber du bist doch allein auf deinem
Planeten!«
»Mach mir die Freude, bewundere mich
trotzdem!«
»Ich bewundere dich«, sagte der
kleine
Prinz, indem er ein bißchen die Schultern
hob, »aber wozu nimmst du das
wichtig?«
Und der kleine Prinz machte sich davon.
Die großen Leute sind entschieden sehr
verwunderlich, stellte er auf seiner Reise
fest.