Der Engel der Tapferkeit
Die Tapferkeit gehört zu den vier Kardinaltugenden. Ursprünglich war sie die
Tugend des Soldaten. Doch die Philosophen sehen in ihr eine Haltung, die jeder
Mensch braucht, um sein Leben authentisch leben zu können. Tapferkeit meint
nicht nur die Unerschrockenheit gegenüber Gefahren und nicht nur
Durchsetzungskraft, sondern vor allem den Mut, das, was man als richtig erkannt
hat, auch konsequent zu befolgen. Der Tapfere lässt sich nicht von Konflikten
sofort umstimmen. Er passt sich nicht dem Trend an, damit er bei allen beliebt
ist. Er steht zu sich, auch wenn andere gegen ihn aufstehen. Das deutsche Wort
„tapfer“ meint ursprünglich „fest, schwer, gewichtig, streitbar, kühn,
herzhaft“. Der Tapfere ist kein Draufgänger. Er ist kühn. Kühn kommt eigentlich
von „wissen“ und „weise“. So verlangt die Tapferkeit, die Situation richtig
einzuschätzen und dann kühn das zu tun, was man als richtig erkannt hat.
Tapferkeit ist etwas anderes als Mut. Mut hat man, Tapferkeit erwirbt man. Mut
ist etwas Aktives. Tapferkeit zeigt sich gerade auch im Passiven, im Erdulden
von Schmerzen. Das Gegenteil von Mut ist Mutlosigkeit, das von Tapferkeit
Feigheit. Tapferkeit muss immer wieder neu erworben werden. Denn jeder von uns
kennt auch die Feigheit. In uns allen steckt die Tendenz, der Angst nachzugeben
und vor der Gefahr zurückzuweichen. Der Engel der Tapferkeit steht uns bei, wenn
wir unsere natürliche Neigung überwinden und dort standhalten, wo wir gerade
gefordert werden.
Im Sprachgebrauch sagen wir zu einem Kind, das im Krankenhaus nicht über seine
Schmerzen klagt, es sei tapfer. Tapfer ist der, der keine Angst vor dem Schmerz
hat, der ihn vielmehr annimmt und so gut wie möglich zu bestehen sucht. Tapfer
ist einer, der sich nicht gehen lässt, wenn ihn ein Unglück trifft. Er bleibt
stehen. Er steht die Situation durch, auch wenn sie ihm wehtut. Er weicht vor
dem Schmerz nicht aus, sondern geht durch ihn hindurch. Er zerbricht nicht am
Schmerz und an der Trauer. Aber er macht sich auch nicht unempfindlich. Er sieht
den Verlust eines lieben Menschen, er erkennt klar, dass seine Krankheit zum
Tode führt. Aber er bleibt dennoch stehen. Er hält dem stand, was Gott ihm da
zumutet. Und in dieser Tapferkeit wächst der Mensch. Er wird weise und stark. Du
brauchst dir deine Tapferkeit nicht zu beweisen. Du musst auch nicht in jeder
Situation tapfer sein. Es gibt Menschen, die strotzen vor Selbstbewusstsein, die
aber dann doch in der Gefahr den Kopf verlieren und sich als Schwächlinge
erweisen. Andere sind ängstlich. Aber sie halten aus, sobald die Herausforderung
sie trifft. Sie werden tapfer mit der Situation, in die sie sich von Gott
gestellt wissen. Sie vertrauen darauf, dass gerade dann, wenn sie es brauchen,
der Engel der Tapferkeit sie stärkt und ihnen beisteht.
Ich wünsche dir den Engel der Tapferkeit, damit du dein Leben wirklich bestehen
kannst, dass du nicht ausweichst, wenn dir der Gegenwind um die Ohren bläst,
dass du nicht fliehst, wenn dich ein Unglück trifft. Und ich wünsche dir
Tapferkeit im Umgang mit den alltäglichen Konflikten, dass du frei bist von dem
Zwang, dich überall beliebt zu machen. Der Engel der Tapferkeit möge dir
beistehen, wenn du in Gefahr bist, umzufallen vor der Meinung der anderen, wenn
du am liebsten den Kampf aufgeben möchtest um des lieben Friedens willen. Wenn
der Engel der Tapferkeit bei dir ist, werden Lösungen möglich, die am Ende für
alle gut sind. Der Tapfere meidet jeden faulen Kompromiss. Er tritt für das
Leben ein. Er kämpft für das Leben. Der Engel der Tapferkeit kämpft an seiner
Seite. Ich wünsche dir nicht nur den Engel der Tapferkeit vor dem Feind, sondern
auch vor dem Freund. Der Engel möge dich davor bewahren, dich bestechen zu
lassen und dich anzupassen, um den Freund nicht zu verlieren. Der Engel der
Tapferkeit widersteht auch dem Freund dort, wo es nötig ist. Das festigt die
Freundschaft, statt sie zu zerstören.