Der Engel des Segnens
Segnen kommt vom lateinischen „signare = mit einem Zeichen versehen,
bezeichnen, siegeln, versiegeln, das Zeichen des Kreuzes machen“. „Signare“
kommt wiederum von „secare = schneiden, einritzen, einkerben“. Die Christen
haben sich schon im 1. Jahrhundert mit dem Kreuz bezeichnet, sie haben das
Kreuz in ihren Leib eingeritzt, ja manche haben sich sogar mit dem Kreuz
tätowiert. Das Kreuz war für die frühen Christen Zeichen der Liebe, mit der
Christus uns bis zur Vollendung geliebt hat. Das Kreuz symbolisiert zugleich
alle möglichen Gegensätze. Wenn die frühen Christen sich mit dem Kreuz
bezeichnet haben, so wollten sie damit die Liebe Gottes in alles
Gegensätzliche und Widersprüchliche ihres Leibes und ihrer Seele einritzen.
Sie wollten sich die göttliche Liebe gleichsam körperlich erfahrbar machen.
Dabei berührten sie die Stirn als Ort des Denkens, den Unterbach als Ort der
Vitalität und Sexualität, die linke Schulter als Bereich des Unbewussten uns
Unheilen und die rechte Schulter als Bild für das Bewusste und Heile. Wenn wir
diese Gebärde bewusst langsam vollzuiehen, können wir erahnen, wie zärtlich
sie ist, wie wir in ihr die Liebe Gottes leibhaft spüren können. Zugleich ist
es eine Versiegelung. Die frühen Christen sahen das Kreuz als Schutzzeichen,
das uns bewahrt vor allem Unheil, vor den Mächten des Bösen und Dunklen. Dem
Versiegelten kann das Böse nicht schaden. Denn das Siegel kann keiner
aufbrechen. Das steht allein Gott zu. Wenn ich einen anderen segne, dann lasse
ich ihn leibhaft erfahren, dass er ganz und gar geliebt ist, dass Gottes Liebe
alles in ihm durchdringt. Und ich vermittle ihm die Ahnung, dass er geschützt
ist, dass Christus ihn begleitet in einer Welt, in der er auch negativen
Einflüssen ausgesetzt ist.
Oft übersetzen wir das lateinische „benedicere = gutes sagen, gut sprechen
über jemand“ mit „segnen“. Einen anderen segnen bedeutet dann, gut über ihn zu
sprechen, ihm Gutes zu sagen, ihm das Gute zusagen, das ihm von Gott her
zukommt. Indem ich das Gute in ihm anspreche, kommt er mit dem Guten in
Berührung, das schon in ihm ist. Segnen heißt aber nicht nur, Gutes über den
anderen sagen, sondern zu ihm selbst gut reden, ihm gute Worte sagen, die ihn
aufrichten. Für die Juden bedeutet Segen die Fülle des Lebens. Der von Gott
gesegnete Mensch hat alles, wessen er bedarf. Wenn ich einen Menschen segne,
wünsche ich ihm alles erdenklich Gute, wünsche ich ihm, dass Gott ihm die
Fülle des Lebens schenken möge und dass er selbst zu einer Quelle des Segens
werden darf für andere. Wenn wir andere Menschen segnen, dann geht von uns
Segen aus in unsere Umgebung. Wir werden ihnen anders begegnen, wir werden mit
neuen Augen auf sie schauen. Wir geben im Segen den Segen weiter, mit dem wir
von Gott beschenkt werden. Wir sind gesegnet. Gott hat ein gutes Wort über uns
gesprochen. Er hat über jeden das Urwort des Segens gesagt: „Du bist mein
geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter. An dir habe ich Gefallen.“
Der Engel des Segnens will dich anleiten, dich selbst zu segnen, dich mit dem
dichtesten Segenszeichen zu bezeichnen, mit dem Zeichen des Kreuzes, dir im
Kreuz die bedingungslose Liebe Gottes in den Leib einzuritzen, damit du dich
mit allen Sinnen geliebt fühlst. Du sollst auch selbst zu einem Engel des
Segens werden für andere, indem du anderen das Zeichen der Liebe schenkst.
Mein Vater gab mir zum Abschied immer das Kreuzzeichen auf die Stirn. Das war
für mich eine wichtige Erfahrung. Ich spürte darin seine liebende Zuwendung,
aber zugleich die Liebe Gottes, die er mir leibhaft vermittelte, und den
Schutz Gottes, unter den mich das Kreuzzeichen stellte. So konnte ich anders
von zu Hause abreisen. Der Engel des Segens möchte dich auch sensibel machen,
dass du das Gute in den Menschen ansprichst und dass du den Segen Gottes auf
sie herabflehst. Mir erzählte ein Missionar von einem alten afrikanischen
Katechisten, der jeden Tag eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn in die
Kirche kam, um still zu beten. Als der Missionar ihn fragte, was er denn da
tue, erzählte er: „Ich gehe in der Vorstellung durch das Dorf, trete in jede
Hütte ein und segne sie. Ich stelle mir vor, wie die Witwe um ihren Mann
trauert, und spreche über sie den Segen. Ich gehe zur nächsten Hütte und
überlege, wie es denen dort wohl ergehen wird. Und dann segne ich sie. So gehe
ich durch das ganze Dorf und segne alle Hütten. Dann feiere ich Eucharistie.
Dann erfahre ich, dass ich von Gott ganz und gar gesegnet bin“. Dieser fromme
Afrikaner hat die Sorgen der Menschen in Segen verwandelt. Vielleicht kannst
du diesen alten Katechisten nachahmen und am Morgen oder Abend durch die
Häuser und Wohnungen der Menschen gehen, die dich und dein Leben berühren, und
über sie den Segen Gottes herabflehen. So wirst du selbst zu einem Engel des
Segens für andere werden. Wenn du versuchst, ihren Kummer und ihre Not in
Segen zu verwandeln, wirst du selbst dich als gesegnet erfahren. Du wirst
dankbar sein, dass du für andere zu einer Quelle des Segens geworden bist.