Der Engel des Humors

Wer lange unter humorlosen Menschen leben muss, der trauert dem Engel des Humors nach. Ohne Humor wird das Leben traurig und langweilig. Humor ist nicht einfach gute Laune. Humor ist die Fähigkeit, die konkrete Situation, gerade auch die widrigen Umstände, zu übersteigen. Der amerikanische Soziologe P. L. Berger nennt daher den Humor ein „Zeichen der Transzendenz". Wir transzendieren die Wirklichkeit und relativieren sie, weil wir sie von einer anderen Perspektive aus sehen. Humor ist zugleich Aussöhnen mit der Wirklichkeit, während der Idealist vor ihr flieht und sich hohe Luftschlösser baut. Das deutsche Wort Humor hat zwei Wurzeln. „Humores" sind die Säfte, die nach der mittelalterlichen Naturlehre im menschlichen Körper das Temperament regeln. Schließlich hat man - vor allem in England - die Grundstimmung der heiteren Gelassenheit mit dem Namen Humor belegt. Humor ist die Gabe, den Schwierigkeiten und Widrigkeiten des Lebens gelassen und heiter zu begegnen. Humor hängt aber auch mit „humus = Erde" zusammen. Humor kann nur der entwickeln, der bereit ist, vom hohen Thron seines Idealbildes herabzusteigen und seine eigene Erdhaftigkeit anzunehmen, sich damit auszusöhnen, dass er von der Erde genommen und aus Lehm gebildet ist. Wer Humor hat, braucht nichts zu verstecken. Er muss nicht seine Energie darauf verschwenden, seine Fassade aufzubauen, damit alle nur seine schönen Seiten sehen. Der humorvolle Mensch söhnt sich mit allem aus, was in ihm ist. Das macht ihn frei von allem Zwang, gut dastehen zu müssen. Er erlaubt es sich, so zu sein, wie er ist. Er kann über sich selber lachen.

Humor bedeutet nicht, dass ich eine ganze Gesellschaft mit Witzen unterhalten kann. Der Humorist ist nicht der Komiker, der aus allem eine Darstellung, ein Schauspiel machen kann. Humor ist zuerst einmal Selbstentlarvung. Ich befreie mich von der Sucht, mich wie ein Denkmal zu fühlen. Humor ist das Gegenteil des Pathos, mit dem sich manche aufblähen und wichtig nehmen. Der Humorvolle erkennt das Unvollkommene an sich selbst und an den anderen. Aber er reagiert nicht zynisch, nicht verzweifelt oder kalt, sondern versöhnt, liebend und warmherzig. Der Humor weiß darum, dass die kleinen Fehler das Große der göttlichen Ordnung nicht stören können. Es ist nicht wichtig, wie Du vor den anderen dastehst, ob Du alles richtig sagst, ob Du eine gute Figur machst, ob Du Dir keine Blöße gibst. Entscheidend ist, dass Du aus der inneren Freiheit und aus der gelassenen Distanz Dir selbst gegenüber sprichst und handelst. Letztlich verlangt dieser Humor als Grundlage den Glauben, dass wir von Gott bedingungslos angenommen sind.

Der Engel des Humors erleichtert Dir Dein Leben. Er leitet Dich an, gelassen zu reagieren, wenn Du Dich schon wieder über Dich ärgern möchtest. Ich wünsche Dir, dass der Engel des Humors Dein ständiger Begleiter wird. Er soll Deine Seele mit Heiterkeit und Milde erfüllen. Er möge Dich davor bewahren, Dich selbst zu zerfleischen, Dich zu entwerten und zu beschimpfen. Er lehrt Dich das Lachen über Dich selbst, nicht das zynische Lachen, sondern das Lachen des Glaubens, das alles Gegensätzliche in Dir überbrückt und Dich an den Punkt jenseits aller Gegensätze führt. Sigismund von Radecki nennt daher das Lachen „verkappte Religiosität". Der Engel des Humors möge Dich aber auch begleiten, wenn Du mit anderen Menschen zusammen lebst und ihre menschlichen Schwächen wahrnimmst. Mach Dir das Leben nicht schwer, indem Du humorlos zu ernst nimmst, was Dir an Dir selbst nicht gefällt und was Dir von den anderen her sauer aufstößt. Lass es sein! Schau hinter die Dinge! Lass Dich vom Engel des Humors mit Gelassenheit und Leichtigkeit erfüllen! Und erlaube Dir, so zu sein, wie Du bist, und über Dich zu lächeln, wenn Du Dich wieder einmal dabei ertappst, wenn Du Dich allzu ernst genommen hast.