DER ENGEL DES SICH-ÜBERLASSENS

Sich überlassen, das klingt zunächst sehr passiv und resignierend. Wem es nicht gelingt, sein Leben aktiv zu formen und in den Griff zu bekommen, der überlässt sich einfach dem Schicksal. Er gibt sich auf. Doch in so eine Haltung möchte uns der Engel des Sich-Überlassens sicher nicht führen. Er meint etwas anderes. Sich-Überlassen hat zuerst einmal zu tun mit Sich-Einlassen. Wer sich dem Leben überlässt, der lässt sich ein auf das Leben und seine Bewegung. Er hält sich nicht zurück. Er verkrampft sich nicht in sich selbst, sondern überlässt sich dem Fluss des Lebens. So kann in ihm etwas aufblühen und lebendig werden.

Sich-Überlassen ist das Gegenteil von Sich-Festhalten. Viele klammern sich an ihrem eigenen Image fest, andere halten sich an ihren Gewohnheiten fest oder an ihrem Besitz, an ihrem Ruf, an ihrem Erfolg. Der Engel des Sich-Überlassens möchte Dich einführen in die Kunst, Dich loszulassen, Dich dem Leben, Dich letztlich Gott zu überlassen. Ich kann mich nur überlassen, wenn ich darauf vertraue, dass ich nicht der Willkür in die Hände falle, sondern einem Engel, der es gut mit mir meint. Wer sich seinem Engel überlässt, der wird frei von unnötigen Sorgen, mit denen sich heute viele zermartern. Er wird frei von dem Kreisen um sich und seine Gesundheit, um seine Anerkennung und seinen Erfolg. In dieser Haltung des Überlassens steckt nicht nur Vertrauen, sondern auch eine große innere Freiheit. Wenn ich nicht alles selber machen muss, wenn ich mich einfach Gott überlasse, in dem Vertrauen, dass Er für mich sorgen wird, dann werde ich frei von aller Ich-Verkrampfung und Ich-Bezogenheit.

Der Engel des Sich-Überlassens will Dich auch in das Vertrauen einführen, Dich einem Menschen zu überlassen. Viele Freundschaften und Ehen scheitern heute, weil jeder an sich selbst festhält, weil jeder Angst hat, sich zu überlassen. Es ist die Angst, dass man seine Freiheit verliert, dass der andere mit einem machen könnte, was er will, dass man seiner Willkür und letztlich seiner Bosheit ausgeliefert wird. Aber ohne dieses Sich-Überlassen kann keine Beziehung gelingen. Denn dann würde jeder nur voller Angst darauf schauen, sich und seine Emotionen, seine Worte und Handlungen zu kontrollieren und sich ja nicht in die Hände eines anderen zu geben. Aber dann kann auch kein Vertrauen wachsen, dann kann der andere gar nicht zeigen, dass er gut mit mir umgehen wird, dass er mein Vertrauen nicht missbrauchen wird. Sich-Überlassen heißt nicht, dass ich mich selbst aufgebe. Ich kann mich nur überlassen, wenn ich mit mir in Berührung bin, wenn ich weiß, wer ich bin. Aber zugleich liegt in diesem Sich-Überlassen immer ein Risiko. In springe aus der Sicherheit, die mir das Festhalten an mir schenkt, heraus und überlasse mich der Hand des andern. Das kann nur gelingen, wenn ich weiß, dass der andere kein Teufel ist, sondern ein Engel, der mich mit seinen Händen auffängt und trägt, der es gut mit mir meint.

Ich kenne viele Menschen, die meinen, sie müssten alles selber machen. Sie müssten hart an sich arbeiten, damit sie weiterkommen und ihre Ideale verwirklichen. Sie strengen sich an, das Gute zu tun. Aber irgendwann kommen sie zu dem Punkt, an dem sie spüren, dass sie nicht alles erreichen können, was sie wollen. Sie können sich noch so viele Vorsätze machen. Sie werden sie nie alle erfüllen. Immer wieder werden sie mit der eigenen unzulänglichen Realität konfrontiert. Da heißt es, die Hände zu öffnen und sich dem Engel zu überlassen, den mir Gott gesandt hat, damit mein Leben gelingt. Das ist dann keine Haltung der Resignation, sondern der Freiheit. Ich spüre, dass ich ja gar nicht alles erreichen muss, was ich möchte, dass das ja nur Ausdruck meines eigenen Ehrgeizes ist, aber noch lange nicht der Wille Gottes. Wenn ich mich in der Meditation vor Gott hinsetze und ihm meine leeren Hände hinhalte, dann spüre ich diese Freiheit, die von dem Sich-Überlassen ausgeht. Ich lasse mich in Gott hineinfallen. Ich weiß, dass Er mich hält, dass ich in Seinen guten Händen einfach sein darf, wie ich bin. Das ist es, was den Glauben von Christen im Kern ausmacht: die Erfahrung der Freiheit, zu der Christus uns befreit hat (vgl. Gal 5,1).