22. April
In allen Wissensgebieten richtet sich das Bemühen darauf, den Gegenstand so zu sehen, wie er wirklich ist. (Matthew Arnold)
Oft betrachten wir etwas ganz direkt und sehen es doch nicht. Manchmal sehen wir, was wir zu sehen erwarten, manchmal, was wir sehen wollen, und manchmal übersehen wir schlicht das, was unmittelbar vor unseren Augen liegt. Wenn Kopf und Herz nicht beteiligt sind, wird ein Augenzeugenbericht kaum besser sein als eine Vermutung.
Die Bekannte, die direkt neben uns geht, ohne ein Wort zu sagen, hat vielleicht gerade ihre Brille verloren. Die attraktive Person, die wir gerne einmal treffen würden, mag verzweifelt mit ihrer Schüchternheit und der Angst ringen, abgewiesen zu werden, während sie sich scheinbar eingebildet und distanziert gibt. Die kurz angebundene, unhöfliche Verkäuferin mag außer sich sein, weil ihre junge Tochter letzte Nacht nicht nach Hause kam. Die guten Noten unseres Kindes sind vielleicht darauf zurückzuführen, dass es abgeschrieben hat. Ein Wutanfall ist unter Umständen ein Schrei nach Hilfe.
Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen. Wir brauchen mehr als nur Augen, um uns ein Bild machen zu können.
Ich will mich bemühen, hinter den äußeren Anschein von Menschen und Geschehnissen zu blicken, und mein Urteil zurückhalten, solange ich nicht die Tatsachen kenne.